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Die Teufelsaustreibung zu Wanlo

aus: Sagen und Legenden des Kreises Grevenbroich.
       Schriftenreihe des Landkreises Grevenbroich Nr. 4. 0
       Grevenbroich/Niederrhein, 1965.

       Mit freundlicher Genehmigung:
       Rhein-Kreis Neuss, Kreisarchiv/Internationales Mundartarchiv Dr. Karl Emsbach Schlossstr. 1, 41541 Dormagen

In Wanlo lebte, es sind etwa hundert Jahre her, die Witwe Beermann mit ihrer Tochter Margrete. Sie wohnten in einem alten Lehmhäuschen am Ausgang des Dorfes und verdienten sich ihr Brot in der Weise armer Leute, im Tagelohn, in Botengängen und, wenn der Winter ins Land gekommen, mit Spinnen und Weben. Es war ein kärgliches Hausen, und es bedeutete für die beiden einen wahren Festtag, wenn sie durch ein paar übrige Groschen, was selten genug geschah, statt des groben Schwarzbrotes einen bescheidenen Kuchen sich gönnen durften. Eines Tages hatte die Witwe es wiederum geschafft, ein süßes Weißbrot in Form eines Kranzes auf den Tisch zu stellen, und sie schärfte, der Naschhaftigkeit der Tochter eingedenk, dieser ein, ihn nicht vor der Zeit anzuschneiden, da sonst die Festtagsfreude geschmälert sei. "So schließe ihn doch in den Schrank, Mutter!" gab diese, ein wenig schnippisch, den Rat, "und wenn dennoch der Kuchen angebissen wird, dann haben es die Heinzelmännchen getan!"
Die Witwe Beermann folgte dem wenn auch nicht ehrlich gemeinten Rat, zog den Schlüssel ab und begab sich zur Ruhe. Die Tochter aber, schlecht gesättigt und mit begehrlichen Sinnen bei dem eingeschlossenen Kuchen, zog leise den Schlüssel aus ihrer Mutter Rocktasche, öffnete den Schrank und schnitt sich ein Stück aus dem duftenden Gebäck, das sie alsbald verzehrte. Den Schlüssel steckte sie an seinen vorherigen Platz.
Am anderen Morgen, als die Glocken zum Frühgebet läuteten, stand die Witwe auf, gebot der Tochter, die Stube zu ordnen und den Tisch zu decken, während sie selbst sich in den Ziegenstall begab, um die Tiere zu füttern und zu melken, wobei sie sich auf das sie erwartende Frühstück, den Kuchen, freute. Als sie eine Weile später die Milch in die bereitstehenden Tassen füllte und dabei mit Wohlgefallen den Blick auf den Kranz heftete, den die Tochter auf ihr Geheiß aus dem Schrank geholt, fiel ihr plötzlich vor zorniger Überraschung die Schöpfkelle aus der Hand, so daß deren Inhalt sich auf den mit weißem Sand bestreuten Fußboden ergoß. "Wer hat das getan?" fragte sie zornig und deutete auf die Lücke im Kuchen. "Nun, wahrscheinlich doch die Heinzelmännchen, wie ich es vorausgesagt habe!" entgegnete mit gespieltem Gleichmut die Tochter. "Du hattest ja den Schrank abgeschlossen und …
Sie kam nicht zu Ende, denn der Mutter derbe Hand versetzte ihr einen heftigen Schlag auf die Backe. "Du Lügenaas!" schrie sie, "du hast den Kuchen trotz meines ausdrücklichen Verbots angeschnitten, und so wollte ich denn, du hättest dir gleich den Teufel mit in den Leib gegessen!"
Das Mädchen erbleichte und fuhr mit gespreizten Händen zurück, als erblicke sie etwas Unheimliches, dem sie wehren wollte, und war von Stund an verwandelt. Sie sang schändliche, einer Jungfrau nicht geziemende Lieder, die das Laster und die Liederlichkeit verherrlichten, sang sie in rauhen, tiefen Kehllauten, als habe eine Männerstimme die ihre verdrängt. Die erschreckte Mutter schalt, bettelte und beschwor zuletzt die Tochter, die .sündhafte Art von sich zu tun, und den Herrgott zu fürchten. Aber das Mädchen lachte, die Zähne bleckend, ihr häßlich ins Gesicht und hielt ihr in boshaftem Triumph Fehler und Dinge vor, die die Mutter vor Scham erröten machten und sie gleichzeitig in die größte Bestürzung versetzten. Denn diese Entgleisungen waren vor der Geburt ihrer Tochter geschehen und konnten dieser nur von einem bösen Geiste offenbart worden sein. Als das Mädchen sich zuletzt dem Gebet und Kirchgang widersetzte und das Weihwasser, mit dem die Mutter sie besprengen wollte, fauchend abwehrte, ward es der Witwe völlig klar, daß der Teufel auf Grund ihrer unglückseligen Verwünschung in ihre Tochter gefahren war. Diese folternde Gewißheit wie einen Alp auf dem Herzen, eilte die Frau sogleich zu ihrem Geistlichen, dem Pastor Hoffmann, und bat ihn händeringend und unter Tränen, ungesäumt zu kommen und den bösen Geist aus ihrer Tochter zu vertreiben. Der Hirte, bestürzt darüber, daß der Teufel in seinem Kirchdorfe, inmitten seiner behüteten Herde umgehe und sich bereits ein Opfer ausgesucht habe, begab sich sogleich mit der Witwe in deren Häuschen, wo sie die Tochter, anzusehen wie eine verwilderte Gängerin, mit wirrem Haar und zerrissenen Kleidern antrafen. Als sie den Pastor erblickte, wich sie wie in Angst vor ihm in die hinterste Ecke zurück und schrie, als er ihr folgte und die exorzierenden Worte über sie sprechen wollte, mit einer kreischenden Männerstimme: "Weiche, du Sünder, du hast keine Macht über mich! Hast du nicht selbst gegen das 7. Gebot gefrevelt und, als du noch ein barfüßiger Junge warst, Kappes von einem Felde gestohlen?"
Der Priester, nun vollends überzeugt, wen er vor sich habe, erwiderte ruhig: "Ich war armer Leute Kind, und wir litten allesamt Hunger. Da habe ich aus Not eines Tages einen Kohlkopf vom Feld eines Halfen gestohlen und meiner Mutter gebracht mit der Erklärung, man habe ihn mir geschenkt. Der Halfe spürte den Verlust nicht, dennoch habe ich, nachdem ich in mein Amt gefunden und über einige Mittel verfügte, den Kappes weit über seinen Wert hinaus dem Bauern bezahlt. Diese Sünde also drückt mich heute nicht mehr und ist kein Hindernis für deine Austreibung!" Und er begann von neuem und diesmal dringlicher die exorzierenden Gebete, und als diese in das Geheiß mündeten: "Fahre aus, Vater der Lüge und Geist des Verderbens, ich heiße dich und befehle dir im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes!" da erhob der Böse ein greuliches Gezeter aus dem Munde des Mädchens, dieses ward geschüttelt und mit Wucht auf die Erde geworfen, und als es unter dem Beistand von Mutter und Priester sich erhob, sagte es zitternd und unter großem Weinen: "Nun ist er fort! Ach, wie hat er mich gequält!" Von Stund an war das Mädchen gesund. Der Teufel aber blieb weiter in der Gemeinde, plagte Menschen und Vieh, und ganz besonders war er zu fürchten in der Mitternachtsstunde von 12 bis 1, wo er auf die mannigfachste Weise Schaden tat an Menschen, Vieh und Geräten.
Der Pfarrer Hoffmann, erschreckt und besorgt um seine Herde, bemühte sich jetzt um einen starken Verbündeten und fand ihn in dem heiligen Michael, der einst Luzifer und seinen Anhang in den Abgrund gestoßen. In aller Eile erbaute er ihm eine Kapelle, in der er ihn nun allnächtlich von 12 bis 1 um seinen Beistand anflehte und ihm seine Herde in beweglichen Worten empfahl. Und Sankt Michael half. In Kürze verschwand der Teufel und ward seitdem nicht mehr in Wanlo gespürt.

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